Rede zur Aktuellen Stunde „Drei Mal so viele entflohene Häftlinge im offenen Vollzug wie in allen anderen Bundesländern zusammen – Was unternimmt die Landesregierung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger?“

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

Bevor ich heute zum Plenartag aufgebrochen bin, habe ich kurz am Frühstückstisch mit meinem elfjährigen Sohn gesprochen. Er hat nämlich einen Test geschrieben. Ich habe ihn gefragt: Lieber Raphael, hast du denn die Sachen auch gelernt, die deine Lehrerin gesagt hat? — Da hat er mir gesagt: Ja, das habe ich gemacht. — Ich habe ihm gesagt: Das ist auch gut so, dass man die Sachen lernt, die vorgegeben wurden.

Ich habe mich ein bisschen daran erinnert gefühlt, denn ich habe mich auch ein bisschen auf diese Rede vorbereitet, Herr Kollege Kamieth. Sie haben diese Aktuelle Stunde angemeldet. In der Anmeldung steht: Wir wollen etwas zu dem offenen Vollzug sagen. — Ich habe gerade den Kollegen Wolf gefragt, ob wir hier in einer Generaldebatte sind, um zu diskutieren, wie die Justiz in Nordrhein-Westfalen insgesamt ist.

Ich glaube, Herr Kollege Kamieth, Ihr Beitrag wird leider Gottes dieser Aktuellen Stunde nicht gerecht. Denn wir sprechen in dieser Aktuellen Stunde — das haben Sie angemeldet — über die Fragen des offenen Vollzugs in Nordrhein-Westfalen. Ich gebe zu, zum Schluss Ihrer Rede haben Sie auch ein paar Sätze zum offenen Vollzug in Nordrhein-Westfalen gesagt und das wichtige Resozialisierungsinteresse sowie das Resozialisierungsgebot des Bundesverfassungsgerichts angesprochen. Da dürften wir auf einer Ebene sein.

Wir sind uns auch einig, dass eine Strafe, die von Gerichten ausgesprochen wird, irgendwann beendet ist. Dann ist es für einen guten Vollzug wichtig zu sehen: Wie kann man den Menschen, der diese Strafe bekommen hat, resozialisieren?

Vor diesem Hintergrund war es für mich auch wichtig, dass ich zur Vorbereitung dieser Rede in die Leitlinien für den Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen geschaut habe. Darin steht ganz klar, dass wir in Nordrhein-Westfalen einen Behandlungsvollzug haben und auch haben wollen, den wir mit dem Resozialisierungsgedanken absichern.

Es ist ein aktivierender Strafvollzug, für den die SPD-Fraktion steht, der das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot mitnimmt. Wir wollen nämlich die Gefangenen befähigen, nach ihrer Entlassung straffrei zu leben. Nach unserer Meinung ist ein solcher aktivierender Strafvollzug Garant für den bestmöglichen Schutz der Gesellschaft.

(Beifall von der SPD und Dagmar Hanses [GRÜNE])

Wir wollen nämlich gerade nicht — deshalb sind wir die Anhänger dieses offenen Vollzugs —, dass die Gefangenen nach Ende ihrer Strafhaft möglicherweise mit einem Koffer vor dem Gefängnistor stehen und nicht wissen, wohin sie gehen müssen. Wir wollen nicht, dass Langstrafige nicht wissen, wie sie dorthin kommen, wenn sie denn noch Anhaltspunkte in ihrem bürgerlichen Leben haben.

Das ist wiederum der Grundstein für diesen wirksamen Behandlungsvollzug und der Gegensatz zu einem Verwahrvollzug. Leider Gottes habe ich von Ihnen nicht intensiv gehört, dass wir diese Resozialisierung in den Vordergrund stellen wollen. — Wir wollen einen Vollzug, der auf das Leben in der Gesellschaft nach der Haft vorbereitet.

Wir glauben, dass dies bis jetzt immer fraktionsübergreifend im Rechtsausschuss übereinstimmende Auffassung gewesen ist. Richtig ist, Herr Kollege Kamieth, dass wir in Nordrhein-Westfalen im offenen Strafvollzug — deshalb ist es wichtig, diese Daten zu nennen — mit dem Stand von März 2017 knapp 4.300 Haftplätze haben.

Sie haben in Ihrer Einleitung gesagt, dass es etwas mit Nordrhein-Westfalen und mit Berlin zu tun habe. Unsere 4.300 Haftplätze im offenen Vollzug sind ungefähr 23 % der knapp 19.000 Gesamthaftplätze des Landes. Wenn wir in die statistischen Unterlagen zur Situation im Bund schauen, stellen wir fest, dass es im gesamten Bundesgebiet ungefähr 7.500 Gefangene im offenen Vollzug gibt. Wenn wir dann sehen, dass allein in Nordrhein-Westfalen darauf 3.320 entfallen, wissen wir schon, dass das natürlich der größte Anteil ist, denn das sind knapp 45 %. Dann weiß man auch, dass wir hier eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen.

Auch deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir in unserem Vollzug versuchen, die Menschen, die in diesen offenen Vollzug kommen, so weit vorzubereiten, dass sie wieder in die Gesellschaft integriert werden können. Das machen wir — das wissen Sie auch, Herr Kollege Kamieth — mit vielen Fallkonferenzen, zu denen auch externer Sachverstand hinzugezogen wird, um zu sehen, ob die Menschen im offenen Vollzug wirklich bereit sind, ihren Platz in der Gesellschaft finden zu können.

Und deshalb, liebe Genossinnen und Genossen, …

(Heiterkeit — Beifall von der SPD)

— Daran sieht man, dass man als Sozialdemokrat im Wahlkampf ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diesen offenen Vollzug in den letzten Jahren meiner Tätigkeit im Rechtsausschuss immer wieder parteiübergreifend beschworen.

Deshalb ist es aus meiner Sicht nicht richtig, so ein schwarzes Bild zu malen, wie Sie es gemacht haben, Herr Kollege Kamieth, dass es in Nordrhein-Westfalen um große Besorgnisse gehe. Denn klar ist: Auch Sie als Mitglied der Vollzugskommission — ohne dass ich über Interna dieser Kommission rede — wissen, dass der Vollzugskommission keine Fälle genannt worden sind, in denen eine Entweichung eines Gefangenen aus dem offenen Vollzug zu einer besorgniserregenden Eskalation in Nordrhein-Westfalen geführt hätte.

(Beifall Dagmar Hanses [GRÜNE])

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Oftmals sind im offenen Vollzug Menschen, die von keinem Richter dieser Welt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Denn wir wissen alle, dass häufig die Ersatzfreiheitsstrafen von denjenigen, die zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind, aufgrund von Mittellosigkeit im offenen Vollzug enden. Niemals hat ein Richter in seinem Urteil angeordnet oder sich auch nur vorgestellt, dass dieser Mensch in Haft kommen soll. Deshalb hat er die Geldstrafe verhängt, und nur vor dem Hintergrund der Mittellosigkeit des Angeklagten kam es dann zu einem offenen Vollzug. Da kann man aus meiner Sicht überhaupt nicht davon reden, dass das eine Gefahr für Nordrhein-Westfalen sei.

Vor diesem Hintergrund zeigt diese Aktuelle Stunde aus meiner Sicht nur eines: nämlich, dass die Justizaufgaben in diesem Land beim Justizminister in sehr guten Händen sind. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und Dagmar Hanses [GRÜNE])